Beitragstext
Oft stehen Eunice und Manfred Bärwolff vor dem Erfurter
Klinikum, das Foto ihrer toten Tochter immer dabei. Ihre Lebensdaten, dazu den §
222 StGB – fahrlässige Tötung – schreibt der Vater den Ärzten immer wieder vor
die Haustür. Cornelia
ist 8 Jahre alt, als sie hier an den Mandeln operiert wird. Einige Tage später
kommt es zu Hause zu einer heftigen Nachblutung. Die Mutter informiert sofort
die HNO-Klinik. Eine Stunde später wird Cornelia dort mit hohem
Blutverlust eingeliefert.
Manfred Bärwolff Vater „Und da
ist absolut nicht zu verstehen, dass da nicht der OP bereit gestellt, alles
bereit gestellt wurde, um eben Cornelia sofort fachgerecht
zu versorgen.“
Die Fachärztin im Bereitschaftsdienst ist zu diesem
Zeitpunkt zu Hause, wenige Minuten vom Krankenhaus entfernt. Auf der Station mit
85 Betten ist nur ein Arzt im Praktikum. Er verkennt den akuten Notfall. Nach 2
Stunden kommt es zu einem weiteren Blutsturz.
Eunice Bärwolff Mutter „Ich
habe immer meine Tochter festgehalten, weil sie darf nicht so liegen, wir haben
versucht, so zum Sitzen bringen. Schwester hat versucht, zu saugen, könnte
nicht, weil es war zu viel Blut. Und praktisch in diesem Moment, sie hat in
meine Augen gekuckt, dann sind ihre Pupillen ..., so die letzte...., und dann
ist sie steif geworden. Das war praktisch in meinen Armen.“
Seit jener
Nacht vor 5 Jahren kämpfen die Eltern darum, dass die, die Cornelias Tod aus
ihrer Sicht fahrlässig verursacht haben, zur Verantwortung gezogen
werden.
Manfred Bärwolff „Wenn sie ein
Jahr nachdem sie dieses Kind beerdigt haben, feststellen, dass so was immer
wieder passiert, allein 1996 mehrere solche Fälle in Deutschland, und da wird
immer so getan als ob das schicksalhaft wäre und unabwendbar, und was wollen
denn diese Eltern, die können wohl keine Trauerarbeit leisten! Wir wünschen eine
Hauptverhandlung, damit wir den Übeltätern das Leid dieses Kindes von Auge zu
Auge klagen können.“
Aber die medizinischen Sachverhalte sind
kompliziert, die Erfolgsaussichten vor Gericht sind gering – die
Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall Cornelia Bärwolff eher lustlos. Ein
erstes Sachverständigen-Gutachten gibt es erst nach 1 ½ Jahren. Und das dient,
nach Ansicht der Eltern, eher dem Kollegenschutz als der Wahrheitsfindung. Der
mit der Aufgabe betraute Präsident der Thüringer Landesärztekammer hatte
schlichtweg verschwiegen, dass der zu Begutachtende ehemals sein Schüler war.
Erst nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde und Auswechslung des ermittelnden
Staatsanwalts bewegt sich etwas. Nach 4 Jahren werde die ersten Zeugen
vernommen. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage. Sie wirft dem Chefarzt der
HNO-Station vor, für die letztlich tödlichen Organisationsmängel verantwortlich
zu sein.
Hätte er diese Aufgabe mit der erforderlichen Sorgfalt
wahrgenommen, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Tod des
Kindes Cornelia Bärwolff zu vermeiden
gewesen.
Er wird – ebenso wie der damaligen Arzt im Praktikum - wegen
fahrlässiger Tötung angeklagt.
Über fünf Jahre sind bis zu dieser Anklage
ins Land gegangen. Jetzt hatten die Eltern wenigstens auf einen schnellen
Prozess gehofft. Vergeblich, - wie sie durch einen Anruf des
Amtsgerichtspräsidenten erfahren. Der teilt ihnen mit, dass die zuständige
Richterin demnächst in den Schwangerschaftsurlaub gehen wird.
Rudolf
Lass Präsident des Amtsgerichts Erfurt „Ich könnte nichts weiter als den
Vertreter anzusprechen, ob sein Terminkalender es zulässt zu verhandeln. Und
wenn nicht, müsste es nach Rückkehr der in Schwangerschaft befindlichen Kollegin
sein.“
Kommt es überhaupt zum Prozess, müssen Ärzte keine hohen Strafen
fürchten. - Wie der Patientenanwalt Jürgen Korioth aus der Erfahrung von über
3.000 verhandelten Fällen weiß.
Jürgen Korioth Patientenanwalt
(Mitglied der Notgemeinschaft Medizingeschädigter NRW / Vorsitzender der
Bundesinteressengemeinschaft Geburtshilfegeschädigter BIG) „Mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit dem Arzt zu beweisen, dass eine bestimmte Handlung
oder Unterlassung in diesem konkreten Fall den Schaden verursacht hat, ist im
Arzthaftungsrecht nahezu unmöglich. Deshalb sind von 100 Strafanzeigen
vielleicht 10, die zur Anklage führen. Und davon kommt es vielleicht einmal zur
Verurteilung des Arztes. Und wenn es zur Verurteilung des Arztes kommt, dann in
aller Regel zu einer Geldstrafe und nie zu einer Freiheitsstrafe und sei sie
auch nur zur Bewährung ausgesetzt.“
Eine Regel, die sich auch im Fall von
Barbara Schuld aus Bad Homburg bewahrheitet. Für die fahrlässige Tötung der
24-jährigen wird der verantwortliche Arzt zu 90 Tagessätzen á 180 Mark
verurteilt. Barbara Schuld litt an einer Krebserkrankung. Als sie endlich frei
von Metastasen ist, war sie wieder voller Zukunftspläne. Durch ein Medikament
kommt es allerdings zu inneren Blutungen. Barbara und ihre Eltern sind darauf
vorbereitet, fahren sofort in die Klinik, geben den Ärzten alle notwendigen
Informationen, aber keiner tut etwas. Umsonst warten sie auf die notwendige
Bluttransfusion.
Hildegard Schuld Mutter „Wenn sie 4 Stunden
erleben müssen, wie das Kind fleht: "Helft mir doch, sie lassen mich sterben!"
und unseres Erachtens auch mitgekriegt hat, dass gesagt wurde: "Wir machen
nichts mehr" - mit so was lebt man Tag und Nacht. Das hört nie auf.“
Die
Assistenzärztin ist angeblich mit der Schockbehandlung überfordert, der Oberarzt
nur für männliche Patienten zuständig. Die Eltern verlangen Aufklärung. Aber
Anwälte für ein Medizinverfahren zu finden, ist schwer; unabhängige Gutachter zu
finden noch schwerer – und teuer dazu. Die Familie muss einen Kredit
aufnehmen.
Hildegard Schuld "Es gibt keinerlei Hilfen, es gibt
keinerlei Ansprechpartner. Man findet keinen, der einen überhaupt da mal berät,
was man machen kann, wie das läuft. Man hat ja keine Ahnung von Juristerei, man
weiß nichts von Straf- oder Zivilrecht. Man hat ja nie damit zu tun
gehabt.“
Sechs Jahre vergehen in diesem Fall bis wenigstens einer der
Schuldigen verurteilt wird. Plötzlich Verschwundene Akten und unklare
Verantwortlichkeiten beeinflussen das Strafmaß zu Gunsten des Arztes.
Zitat:
„Jedenfalls ist nicht nachzuweisen, dass er es war, der die
Originalakten hat verschwinden lassen. ... Auch wird man zu seinen Gunsten
berücksichtigen müssen, dass er sich ... bezüglich seiner Verantwortlichkeit
nicht völlig im Klaren war, wenngleich dieses letztlich der allgemeinen
ärztlichen Pflicht widerspricht.“
Aber für die Mutter von Barbara ist
entscheidend, dass der Prozess mit einer Schuldfeststellung
endet.
Hildegard Schuld „Ich bin eigentlich froh, dass ich’s gemacht
habe, dass ich einfach mal die Grenzen gezeigt habe oder für mich: Es geht so
nicht! Ärzte sind Menschen, aber die Patienten sind auch
Menschen!“
Patientenschutzorganisationen, denen auch Rechtsanwalt Korioth
angehört, fordern seit langem die Einrichtung eines finanziell unabhängigen
Instituts, das eine Kontrolle des Medizinapparats ermöglicht.
Jürgen
Korioth Patientenanwalt (BIG und Nothilfegemeinschaft Medizingeschädigter
NRW) „Wenn hier im Bereich der Zusammenarbeit, die ja wünschenswert wäre mit
einem solchen Institut, das Ganze transparenter wird und die Selbstkritik der
Ärzte größer wird, dann bin ich mir völlig sicher, wird sich, ... wird die
Anzahl der Behandlungsfehlerfälle drastisch abnehmen und wir hätten auch mal
eine vernünftige statistische Auswertung, die es uns ermöglicht, bestimmte
Fehlstrukturen so zu erkennen, dass sie zum Schutze und zum Segen des Patienten
abgestellt werden können.“
Zumindest eine Chance Behandlungsfehler wie
bei Cornelia Bärwolff und Barbara Schuld
zu verhindern.
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