Ärztepfusch - Ärztliche Kunstfehler mit Todesfolge
von Anett Wundrak / MDR FAKT
Ein Fall aus Thüringen: Ein Mädchen starb nach einer Mandeloperation. Die Familie klagt, doch erst nach sechs Jahren kommt der Fall vor Gericht. Nun aber verzögert sich die Verhandlung erneut, da die zuständige Richterin in den Babyurlaub geht und keiner sich in der Lage sieht, den Fall zu übernehmen.
Beitragstext
Oft stehen Eunice und Manfred Bärwolff vor dem Erfurter Klinikum, das Foto ihrer toten Tochter immer dabei. Ihre Lebensdaten, dazu den § 222 StGB – fahrlässige Tötung – schreibt der Vater den Ärzten immer wieder vor die Haustür.
Cornelia ist 8 Jahre alt, als sie hier an den Mandeln operiert wird. Einige Tage später kommt es zu Hause zu einer heftigen Nachblutung. Die Mutter informiert sofort die HNO-Klinik. Eine Stunde später wird Cornelia dort mit hohem Blutverlust eingeliefert.

Manfred Bärwolff
Vater
„Und da ist absolut nicht zu verstehen, dass da nicht der OP bereit gestellt, alles bereit gestellt wurde, um eben Cornelia sofort fachgerecht zu versorgen.“

Die Fachärztin im Bereitschaftsdienst ist zu diesem Zeitpunkt zu Hause, wenige Minuten vom Krankenhaus entfernt. Auf der Station mit 85 Betten ist nur ein Arzt im Praktikum. Er verkennt den akuten Notfall. Nach 2 Stunden kommt es zu einem weiteren Blutsturz.

Eunice Bärwolff
Mutter
„Ich habe immer meine Tochter festgehalten, weil sie darf nicht so liegen, wir haben versucht, so zum Sitzen bringen. Schwester hat versucht, zu saugen, könnte nicht, weil es war zu viel Blut. Und praktisch in diesem Moment, sie hat in meine Augen gekuckt, dann sind ihre Pupillen ..., so die letzte...., und dann ist sie steif geworden. Das war praktisch in meinen Armen.“

Seit jener Nacht vor 5 Jahren kämpfen die Eltern darum, dass die, die Cornelias Tod aus ihrer Sicht fahrlässig verursacht haben, zur Verantwortung gezogen werden.

Manfred Bärwolff
„Wenn sie ein Jahr nachdem sie dieses Kind beerdigt haben, feststellen, dass so was immer wieder passiert, allein 1996 mehrere solche Fälle in Deutschland, und da wird immer so getan als ob das schicksalhaft wäre und unabwendbar, und was wollen denn diese Eltern, die können wohl keine Trauerarbeit leisten! Wir wünschen eine Hauptverhandlung, damit wir den Übeltätern das Leid dieses Kindes von Auge zu Auge klagen können.“

Aber die medizinischen Sachverhalte sind kompliziert, die Erfolgsaussichten vor Gericht sind gering – die Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall Cornelia Bärwolff eher lustlos. Ein erstes Sachverständigen-Gutachten gibt es erst nach 1 ½ Jahren. Und das dient, nach Ansicht der Eltern, eher dem Kollegenschutz als der Wahrheitsfindung. Der mit der Aufgabe betraute Präsident der Thüringer Landesärztekammer hatte schlichtweg verschwiegen, dass der zu Begutachtende ehemals sein Schüler war. Erst nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde und Auswechslung des ermittelnden Staatsanwalts bewegt sich etwas. Nach 4 Jahren werde die ersten Zeugen vernommen. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage. Sie wirft dem Chefarzt der HNO-Station vor, für die letztlich tödlichen Organisationsmängel verantwortlich zu sein.

Hätte er diese Aufgabe mit der erforderlichen Sorgfalt wahrgenommen, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Tod des Kindes Cornelia Bärwolff zu vermeiden gewesen.

Er wird – ebenso wie der damaligen Arzt im Praktikum - wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Über fünf Jahre sind bis zu dieser Anklage ins Land gegangen. Jetzt hatten die Eltern wenigstens auf einen schnellen Prozess gehofft. Vergeblich, - wie sie durch einen Anruf des Amtsgerichtspräsidenten erfahren. Der teilt ihnen mit, dass die zuständige Richterin demnächst in den Schwangerschaftsurlaub gehen wird.

Rudolf Lass
Präsident des Amtsgerichts Erfurt
„Ich könnte nichts weiter als den Vertreter anzusprechen, ob sein Terminkalender es zulässt zu verhandeln. Und wenn nicht, müsste es nach Rückkehr der in Schwangerschaft befindlichen Kollegin sein.“

Kommt es überhaupt zum Prozess, müssen Ärzte keine hohen Strafen fürchten. - Wie der Patientenanwalt Jürgen Korioth aus der Erfahrung von über 3.000 verhandelten Fällen weiß.

Jürgen Korioth
Patientenanwalt (Mitglied der Notgemeinschaft Medizingeschädigter NRW / Vorsitzender der Bundesinteressengemeinschaft Geburtshilfegeschädigter BIG)
„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem Arzt zu beweisen, dass eine bestimmte Handlung oder Unterlassung in diesem konkreten Fall den Schaden verursacht hat, ist im Arzthaftungsrecht nahezu unmöglich. Deshalb sind von 100 Strafanzeigen vielleicht 10, die zur Anklage führen. Und davon kommt es vielleicht einmal zur Verurteilung des Arztes. Und wenn es zur Verurteilung des Arztes kommt, dann in aller Regel zu einer Geldstrafe und nie zu einer Freiheitsstrafe und sei sie auch nur zur Bewährung ausgesetzt.“

Eine Regel, die sich auch im Fall von Barbara Schuld aus Bad Homburg bewahrheitet. Für die fahrlässige Tötung der 24-jährigen wird der verantwortliche Arzt zu 90 Tagessätzen á 180 Mark verurteilt. Barbara Schuld litt an einer Krebserkrankung. Als sie endlich frei von Metastasen ist, war sie wieder voller Zukunftspläne. Durch ein Medikament kommt es allerdings zu inneren Blutungen. Barbara und ihre Eltern sind darauf vorbereitet, fahren sofort in die Klinik, geben den Ärzten alle notwendigen Informationen, aber keiner tut etwas. Umsonst warten sie auf die notwendige Bluttransfusion.

Hildegard Schuld
Mutter
„Wenn sie 4 Stunden erleben müssen, wie das Kind fleht: "Helft mir doch, sie lassen mich sterben!" und unseres Erachtens auch mitgekriegt hat, dass gesagt wurde: "Wir machen nichts mehr" - mit so was lebt man Tag und Nacht. Das hört nie auf.“

Die Assistenzärztin ist angeblich mit der Schockbehandlung überfordert, der Oberarzt nur für männliche Patienten zuständig. Die Eltern verlangen Aufklärung. Aber Anwälte für ein Medizinverfahren zu finden, ist schwer; unabhängige Gutachter zu finden noch schwerer – und teuer dazu. Die Familie muss einen Kredit aufnehmen.

Hildegard Schuld
"Es gibt keinerlei Hilfen, es gibt keinerlei Ansprechpartner. Man findet keinen, der einen überhaupt da mal berät, was man machen kann, wie das läuft. Man hat ja keine Ahnung von Juristerei, man weiß nichts von Straf- oder Zivilrecht. Man hat ja nie damit zu tun gehabt.“

Sechs Jahre vergehen in diesem Fall bis wenigstens einer der Schuldigen verurteilt wird. Plötzlich Verschwundene Akten und unklare Verantwortlichkeiten beeinflussen das Strafmaß zu Gunsten des Arztes. Zitat:

„Jedenfalls ist nicht nachzuweisen, dass er es war, der die Originalakten hat verschwinden lassen. ... Auch wird man zu seinen Gunsten berücksichtigen müssen, dass er sich ... bezüglich seiner Verantwortlichkeit nicht völlig im Klaren war, wenngleich dieses letztlich der allgemeinen ärztlichen Pflicht widerspricht.“

Aber für die Mutter von Barbara ist entscheidend, dass der Prozess mit einer Schuldfeststellung endet.

Hildegard Schuld
„Ich bin eigentlich froh, dass ich’s gemacht habe, dass ich einfach mal die Grenzen gezeigt habe oder für mich: Es geht so nicht! Ärzte sind Menschen, aber die Patienten sind auch Menschen!“

Patientenschutzorganisationen, denen auch Rechtsanwalt Korioth angehört, fordern seit langem die Einrichtung eines finanziell unabhängigen Instituts, das eine Kontrolle des Medizinapparats ermöglicht.

Jürgen Korioth
Patientenanwalt (BIG und Nothilfegemeinschaft Medizingeschädigter NRW)
„Wenn hier im Bereich der Zusammenarbeit, die ja wünschenswert wäre mit einem solchen Institut, das Ganze transparenter wird und die Selbstkritik der Ärzte größer wird, dann bin ich mir völlig sicher, wird sich, ... wird die Anzahl der Behandlungsfehlerfälle drastisch abnehmen und wir hätten auch mal eine vernünftige statistische Auswertung, die es uns ermöglicht, bestimmte Fehlstrukturen so zu erkennen, dass sie zum Schutze und zum Segen des Patienten abgestellt werden können.“

Zumindest eine Chance Behandlungsfehler wie bei Cornelia Bärwolff und Barbara Schuld zu verhindern.
 
zuletzt aktualisiert: 21. Juni 2002 | 14:07

Quelle: FAKT